Forschungszentrum Filmformate (Berlin)

Begonnen von Filmgärtner, 07.10.22, 11:30

ᐊ vorheriges - nächstes ᐅ

Filmgärtner

07.10.22, 11:30 Letzte Bearbeitung: 08.12.23, 08:12 von DCI sr.
Eingangs eine Feststellung zum Repertoire-Spiel und zu Festivals zur Pflege des 35mm- und 70mm-Films:

Man muss sich wohl auf ein Dilemma einlassen, das leider nicht lösbar ist, sondern akzeptiert werden muss.

Die nach Sichtung verblaßter oder rotstichiger Filmkopien sarkastisch oftmals als Alternative apostrophierte "farbige" VHS-Kassette (oder neuerdings DVD) nützt niemanden, welcher sich um kinematographische Aura, Werkzeuge und auch die Entstehungsgewerke damaliger Filme kümmert.

Die wenigen farbigen 70 mm-Kopien, die in den letzten Jahren auf den Markt kamen, relativieren sich hinwiederum dadurch, dass ein Anteil von etwa 98% dieser Neukopien im Vergleich unschärfer sind als die gefadeten Eastman Color-Kopien der 1960er Jahre.

Hinzu kommen Farbkreuzungen und instabile Entwicklungsprozesse der letzten 20 Jahre bei neuen Kopien und ganz entscheidend auch die Forcierung des Duprozesses ab 1968.

Die vielleicht noch am ehesten annehmbare Farbkopie der letzten Dekade, "Tenet", weist immer noch eine zarte Tendenz in der Färbung der Weißflächen (ähnlich einem sog. Orwocolor-Look) auf, und auch Auflösung und Schärfe dieses in 65 mm gedrehten Films erscheinen auf der 70 mm-Kopie kaum anders und besser als bei einem 35 mm Blow up der 1960er Jahre auf 70 mm (als Folge hier der gängigen digitalen Ausbelichtung der letzten Jahre).

Die Farbabstimmung speziell nun der allerersten 70 mm-Kopien der restaurierten Fassung von 1991 von "Spartacus" konnte man noch als sehr zufriedenstellend bezeichnen und auch die schlüssige Lichtbestimmung - nur wenige Jahre später wurden von demselben Dupnegativ bereits Kopien mit absaufenden und verfärbten Schatten und erhöhter Körnigkeit nachkopiert (denn eine Direktkopierung vom Originalnegativ war auch bereits zu dieser Zeit schon nicht mehr möglich, nachdem Rank und Technicolor ihre subtraktiven optischen Printer entsorgt hatten: eindeutig nur auf diesem Wege wäre die erstaunliche Originalschärfe erhalten geblieben. Ansatzweise existiert sie noch in den - leider bereits seit Anfang der 1970er Jahre gefadeten - 70 mm Kopien von "Herkules erobert Atlantis").

Auch der Magnetton auf den älteren Kopien offeriert zumeist ein stimmigeres und ausbalancierteres Klangbild als neuere DTS- Revival-Fassungen (siehe in erschreckender Weise Umspielungen von "Play Time" oder "2OO1", die deutlich flacher klingen oder in denen die Direktionalität getilgt wurde).

Schön ist der Rotstich also wirklich nicht, aber die unstimmigen und zumeist unscharfen neuen Farbkopien sind es m.E. noch weit weniger: für Film- und Kinoforscher wird es also weiterhin auch 70 mm-Festivals geben, aber der Anspruch von "Todd-AO" lässt sich mit den Möglichkeiten der analogen Neukopierung der letzten 50 Jahre, aber auch der Digitalisierung der letzten 20 Jahre leider nicht mehr replizieren.

Wir sind darauf angewiesen, uns den originalen Look der Filme nach ziemlich aufwendiger Recherche heute im Kopf zusammensetzen zu müssen, was sowohl den meisten Zeitzeugen der damaligen Premieren misslingt als auch nicht wenigen Experten und Kopierwerksfachleuten der letzten zwei Jahrzehnte.