Filmliebende? Die Filmrolle - zwischen Obsession und Marketing

Begonnen von Filmgärtner, 19.12.22, 15:43

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Filmgärtner

Seit der flächendeckenden Digitalisierung, zu deren Förderprogrammen ursprünglich in einigen Fällen auch die Entfernung der traditionellen Filmprojektoren gehörte, leidet das gewerbliche Kino allerdings auch an Verlusten seiner Identität, zu welcher eben auch das Handgemachte, Zirzensische und Performative gehörte.

Intuitiv oder sogar direkt konnte das Publikum im traditionellen Kino spüren, dass engagierte und qualifizierte Personen im Bildwerferraum für sie tätig sind, die laufenden Bilder richtig formen und präsentieren, den Ton auf die jeweilige Vorstellung anpassen und die Wundermaschinen des industriellen Zeitalters am Laufen halten.
Manche nannten dies auch showmanship oder Vorführkunst.
(Im heutigen Digital Cinema steuert ein Theater Managementsystem vom Theaterleiterbüro aus sämtliche Vorführungen, auch online-Tickets haben sich durchgesetzt, Kassenautomaten sind auf dem Vormarsch. Auf abziehbare Zeit auch künstliche Intelligenz oder Roboter als Servicekräfte der Filmtheater?)

In wenigen Programmen und kommunalen Kinos, manchmal auch in Multiplexen, befinden sich nach wie vor Filmprojektoren. Und in vielen Fällen besteht auch das Bedürfnis nach Repertoire fort.

Nach dem Wegfall von Standards und Fachpersonal nicht nur im Kino, sondern auch in den noch bestehenden Filmkopierwerken und auch Filmrestaurierungsbetrieben, fällt die Wiederentdeckung der Filmrolle oft in die Hände letzter im Kinos verbliebener Filmvorführer oder neu hinzugetretener Kuratoren aus der heutigen Szene der Universitäten und Festivals.
Die Wiederentdeckung der Filmrolle, so wichtig der Erhalt dieser Kulturtechnik auch ist, geht mit einem gewissen Romantizismus einher, als habe man plötzlich den heiligen Gral des Originals gefunden.
Es handelt sich natürlich um zeitgenössische Belege damaliger Aufführungspraxen, in gut wie auch in schlechterhaltenen Kopien. Das eigentliche Original ist jedoch das Original Kameranegativ und Soundmaster.

Weltweit gibt es kein Programm zur Erläuterung der Produktionszusammenhänge und Hintergründe der Entstehung einer Filmkopie. An deren Stelle sind Marketingfloskeln getreten, die etwas vermarkten, welches zu seltenen Spezies gehört oder auch als das Original dargestellt wird.

Wenn man sich Spielstätten aussucht, um ausgewählte Programme zu genießen, führt der erste Weg über die Veranstaltungsankündigung.

Anlass, anhand der Hackeschen Höfe Kinos in Berlin einmal nachzufragen bzgl. der Verkündung, es gebe die eingesetzten Titel aus dem Ouevre des James Cameron noch in "keiner hochwertigen Digitalfassung".

Man zeigt nun Filme auf 35 mm und insinuiert damit, Mehrwert zu garantieren.
Mit einem an Multiplex-Erfahrungen orientiertem Programmen oftmals (und auf technischer Ebene mit mittlerweile verworfenden Massenkopien der damaligen Zeit).

Wenn es schon von Reiz ist, leider auch die optisch verlustreichen, "verwaschenen" 35 mm-Kopien zu spielen, warum garantiert der Stab aus Kuratoren nicht wenigstens die 35 mm-director's cut-Version von THE ABYSS, die doch erhältlich ist?
https://www.hoefekino.de/filme/the-abyss-28043/
Auch im Fernsehen und auf DVD ist ein director's cut zu sehen und in guter Heimkino-Qualität mittlerweile auch über HBO Max in HD zu streamen: https://www.tvguide.com/movies/the-abyss/2000045324/

Bei TRUE LIES verhält es sich ähnlich: https://doeshbohave.com/is-true-lies-1994-on-hbo/

Die auf Wunsch der Fox zensierte und gekürzte
Erstaufführungsfassung von THE ABYSS indessen wird dem Ansinnen der Filmemacher wenig gerecht.

Das Kino selbst aber bezeichnet diese Reihe gar als "Hommage an James Cameron", überhaupt ist fortan alles Hommage.


Es erheben sich Fragen:

- Sobald jemand 35 mm-Aufführungen kuratiert - sollten hierfür nicht Auswahlkriterien erarbeitet werden?

- Sind es Blockbuster, die die Geschichte des 35 mm-Films fotografisch am besten repräsentieren oder sind Blockbuster nicht eher der Transmissionsriemen für voller Stolz reanimierte Dolby-Anlagen mit komprimierten Tonformaten? In einigen Filmkopien ist das Rauschen und Knistern kaum auszuhalten, denn optisch mit dem Bild mitkopierte Tonspuren haben mit der Originalmischung der Filme auf Magnetbändern, jetzt halbwegs auch auf Blu-ray-Discs repräsentiert, wenig zu tun). https://youtu.be/fsxU8zQjHBM

- Weiß man auf Kuratorenseite über 35mm-Duplikatprozesse oder den Digital Intermediate-Prozess bescheid? Über eine weitere negative Beeinflussung durch (niedrig gerenderte) CGI-Animationen?
Was verbleibt danach noch in einer  schnell reproduzierten 35mm-Theaterkopie?

- Findet sich die Lob verdienende 35 mm-Brillanz vielleicht eher in kleineren Kopienauflagen, bei unabhängigeren Filmemachern oder - weit zurückreichend - vor 60 oder 70 Jahren, als das Wort "Premierenkopie" Bedeutung hatte? (Und wie ist es möglich, dass unter 60-Jährige eine hochwertige Filmkopie gesehen haben wollen? Über solche verfügen wir kaum mehr.)

- Findet die filmwissenschaftliche Arbeit, sich für ein Thema, z.B. für Kamerastile zu interessieren, Befriedigung in verfälschten 35mm-Intermediate prints?

- Wenn 35 mm analysiert würde: Werden Kamera-Leute eingeladen?

- Verfügen Kuratoren über eine Filmkopierwerkspraxis? (Oder einen anderen, vergleichbaren Berufsabschluss?)
Wie ist es möglich, über 35 mm zu reden, ohne jemals in einem Filmkopierwerk gearbeitet zu haben?

- Kündet das Abspielen von 35 mm-Kopien (trotz minderer Güte in einigen Spielstätten mit "35 mm Aufschlag" deklariert) von "Leidenschaft für Film" - oder von Leidenschaft für Projektionsapparate?

- Was beweisen uns 35mm-Auflösungen, die sich etwa im Auflösungsbereich von ein 1k (deutlich weniger als der der Blu-ray-Disc) bewegen?

- Ist das annoncierte "Kinoerlebnis auf großer Bildwand" in "Zelluloid" als Versprechen auch einlösbar? (ABYSS lief im September 1989 an: auf 19,80 m Bildbreite im Zoo Palast und auf 32 m Bildbreite im Royal Palast.
Die größte Bildwand in den Hackeschen Höfen beträgt ca. 8 m und ist flach.)

Fazit: 35mm dient als Chiffre für Dies und Jenes, für alles Mögliche.

Meines Erachtens ist das Thema geeignet für Forschungssymposien und Seminare, nachdem Vorzüge der Filmrolle gegenüber mittlerweile verfügbaren (und  im Sinne der Filmemacher erstellten) Digisaten nur in seltenen Fällen noch aufrecht zu erhalten sind.

Auch wenn mich das Thema selber historisch bewegt, finde ich es erörterungsfähig, dass es sich um eine "Hommage an James Cameron" handele. Schließlich hatte dieser sich mit der Fox wegen dieser beeinträchtigten Versionen beinahe überworfen und die Missstände erst vor zwei Jahren korrigiert. Mit Sicherheit nicht mehr auf Filmrolle auf dem Niveau der Kinocenter von anno 1989.

Filmgärtner

30.07.23, 08:27 #1 Letzte Bearbeitung: 30.07.23, 08:39 von DCI sr.
Marketingabteilungen international setzen analoge Legendenbildungen epidemisch fort: eines ist der renommiertesten Filmmuseum der Welt beschreibt das Medium Film nach Maßstäben von Pixelzählern und "Videoten".
Die tatsächliche Überlegenheit von Film, dort wo sie auch existiert, wird nicht anhand geeigneter Beispiele exemplifiziert, sondern anhand der nachweislich gescheiterter.

Verschiedene Aufnahmematerialien, eingesetzte Brennweiten und Belichtungsdefizite etwa in "Oppenheimer", gefolgt von Fehlern der Umkopierungen und Intermediates in der noch immer als "jüngere Postproduktion" anzusehenden beschädigenden Filmbearbeitungsmethode (neuerdings sogar mit verstärkten Verschrammungen bereits während der Filmentwicklungsprozesse), degradiert die Filmgüten so nachhaltig, daß von keiner Hochwertigkeit gesprochen werden kann.
Unter solch fehlgeleiteten Bedingungen kehren sich vermeintliche Attribute und dringed erhaltenswerte Errungenschaften des fotochemischen Films in ihr Gegenteil.
Ein Beispiel hierfür ist die Marketing-Kampagne das eye-Instituts in Amsterdam in völliger Ignoranz der realen Produktionsverhältnisse.
Hier wirft die Autoren mit Begrifflichkeiten der Fernsehtechnik um sich ("12k und 18k Qualität" bei photochemischen Film), die allenfalls in wenigen und sehr selektierten Filmmustern (daylies) sichtbar wären, welche aber im Endprodukt nicht zum Tragen kämen.
Andere Kampagnen sprechen von helleren oder kontrastreicheren Bildern beim 70 mm-Film, was ebenfalls nicht zutrifft und auch unabhängig von der Formatbreite ist: Super 8 Film ist hierzu ebenfalls in der Lage.

https://www.eyefilm.nl/en/magazine/waarom-70mm-het-beste-formaat-is-om-oppenheimer-op-te-kijken/1023803

Filmgärtner

02.11.23, 18:11 #2 Letzte Bearbeitung: 02.11.23, 18:21 von DCI sr.
Mit großen Erwartungen öffnet das restaurierte Egyptian Theatre Hollywood mit einem 70 mm-Festival.

Erstmalig kommen auch Fragen auf zum Programm oder auch Zweifel selbst ik stark frequentierten social media Gruppen von ehemaligen Filmvorführern, welche damit die Aufführungen von Filmkopien am Leben erhalten und auch regelmäßig annoncieren.

Damit zitiere ich Tim O Neill:

Another 70mm festival is coming up later this month in Los Angeles.  I love 70mm festivals.....but how 'bout some new titles????  C'mon, Hollywood......strike some new prints of OTHER movies.  These lineups are always the same.  Hell......make a new 70mm print of RYAN'S DAUGHTER.....or make some new blowup prints, like LOGAN'S RUN or DOCTOR ZHIVAGO.  I'm not blaming the few 70mm theatres out there......but there have been hundreds of movies originally released in 70mm during a 40 year period; be it 65mm neg to 70mm print; or 35mm neg to blowup 70mm print.  There have even been some rocumentaries shot on 16mm and blown up to 70mm.  Let's liven up these 70mm festivals.  The people love 70mm.

Daraufhin gestattete ich mir folgende Antwort:


As early as the beginning of the 90s, there was a tendency (e.g. here in Germany) to offer a platform at 70 mm festivals only for action films or blow-ups with Dolby sound (Spielberg, Cameron, Lucas, comics, novels etc.).

Unfortunately, not a single title met the original approach of the 70 mm process.

(Later, we were able to bring some of the 60s classics out of obscurity at smaller festivals or museum cinemas, but in every case we had to accept the colour fading.)

Until about 5 years ago, there was thus a greater density of outstanding-looking large format classics from East and West in Central and Western Europe than at events in the USA (where, on the other hand, the only 65/70 Film laboratory was still maintained until recently).

In my opinion, the most far-reaching format and wide film culture was developed in the former USSR. Moscow has the largest archives (but not a corresponding festival).

If you read the announcements of the current 70 mm festivals alone, it becomes clear that the curators have no connection to former film post-production facilities or are seriously concerned with the overall history of wide gauge formats.

As a matter of principle, there are no comparisons of different variants and restorations, there is no ideological-critical or image-scientific analysis or networking at the international archive level.

I am almost certain that hardly any of the under-65s have ever seen a good 70 mm print with their own eyes, unfortunately.

The current curators are under 40, they deal with other topics full-time throughout the year and are unable to free themselves from the hype surrounding the same directors Christopher Nolan, Paul Thomas Anderson or Quentin Tarantino for once.

The majority of viewers are former film projectionists (like myself). Film projectionists, as well as marketing representatives of film theatres, tend to communicate their own efforts first and foremost, because they have no influence on the print works, on the processing machines and colorists there or on the financiers of new 70 mm prints. Their results make your hair stand on end, and I myself worked in a film laboratory until two decades ago...

We've been going round in circles trying to market 70mm festivals in the most "popular" way possible for about 40 years (with the exception of the revival attempts of a few new prints of a dozen former film classics, otherwise there would be no choice but to go back exclusively to red prints for the sake of authenticity, since the blow up, D.I. or other dup versions have contributed such a considerable distortion of the original claim over the last 50 years).

If a film like RYANS DAUGHTER were to be shown side by side with FAR AND AWAY or even DUNKIRK, HATEFUL 8, INTERSTELLAR, THE MASTER, NOPE, OPPENHEIMER, LICORICE PIZZA, restored LAWRENCE OF ARABIA, restored PLAY TIME, [un]restored 2001 or restored SPARTACUS, then, after RYANS DAUGHTER, most viewers' jaws would drop in amazement (or, on the other hand, the younger star directors with their exclusive film prints would have to shamefully admit to a long chain of mistakes and errors that led to their hopes and aspirations not being realised in such an obvious way).

There are 100 other 70mm films that are worth seeing, but they are very unpopular not only in Europe, but above all in the USA, and are repeatedly subjected to unqualified hostility. Even though they are outstanding visual masterpieces:

FALL OF THE ROMAN EMPIRE, 55 DAYS AT PEKING, DER KONGRESS AMÜSIERT SICH, SAVAGE INNOCENTS, VOINA I MIR 1-4, DERSU UZALA, THE LAST VALLEY, KHARTOUM, BARABBASS, BATTLE OF THE BULGE, KING OF KINGS, PORGY AND BESS, BLACK TULIPE, IL GATTOPARDO, KATERINA ISMAYLOVA, EOLOMEA, MACKENNAS GOLD, EL CID, PINK PANTHER, EXODUS, SHEHERAZADE, DOCTOR COPPELIUS, THE LONG SHIPS, OPTEMISTIC TRAGEDY, CHEYENNE, THE HALLELUJAH TRAIL CHITTY, CHITTY BANG BANG or THE SONG OF NORWAY and so on.

Even when focusing on the currently existing programmes, you only need to read the programme texts (in my opinion, pure self-promotion by the venues, but no film-historical information) or look at the color quality of the production stills to see at first glance that no experts have been consulted. Experts or scientists would not publish and argue in this way, I think.

Filmgärtner

13.02.24, 21:00 #3 Letzte Bearbeitung: 13.02.24, 21:07 von Filmgärtner
Im Filmvorführer-Forum ist man sich bei der Einordnung von Filmkopien wieder nicht sicher und berichtet von 35mm-LPP Ferrania-Kopien:

Am 1.9.2015 um 15:24 schrieb preston sturges:
(...)

Auch richtig - unsere am vergangenen Wochenende gespielte TANZ DER VAMPIRE Kopie stammt von Metrocolor London und wurde auf Ferrania LPP Material kopiert.



"Tanz der Vampire" auf Ferrania Print-Material?

Nicht richtig.


1. Auf Ferrania gab es niemals LPP (lowfade positive print)-Material. LPP in der Randkodierung steht für etwas Anderes.
Ferrania Color als Print Material wurde von 1949 bis 1970 produziert und dann von 3M übernommen.


2."Ferrania" bezieht sich im Falle des beschriebenen Films auf das Tonnegativ, das übliche Material in Westdeutschland/Westberlin in der  1960ern bei Herstellung von Lichttonnegativen (von Technicolor 1967 weiterverwendet, hier für die Druckkopien)


3. MGM Labs. weckzen qualitativ eher Zweifel seit Ende der 1960er

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Preston Sturges

Vielleicht meldet er sich eines Tages auch hier an in diesem Forum. Unterhaltung gibt es ja auch hier reichlich im Forum.

Filmgärtner

Dann dominiert hier aber die Werbung, und nicht die Aufklärung.  ;)

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Zitat von: Filmgärtner am 13.02.24, 23:04Dann dominiert hier aber die Werbung, und nicht die Aufklärung.  ;)

Und lass ihm doch seinen Spass.

Aber gut das wir hier in unserem Forum total verschont bleiben von diesem bornierten Schmalfilmbereich. Das ist ja nicht mehr zu ertragen dort in diesem anderen Forum. Konstruktives zu echter Filmliebhaberei gibt es dort leider immer seltener in dieser Plattform. Das gesamte Forum dort besteht leider nur aus Schmalfilm und Reparaturen an deren Projektoren.

Apache Apache

Ferrania Thema

Dort auf dem anderen Kanal erwacht ja schon wieder einmal der so bekannte Kindergarten aus dem tiefsten Winterschlaf.

Filmgärtner

18.02.24, 00:27 #8 Letzte Bearbeitung: 18.02.24, 00:29 von Filmgärtner
Jetzt kommen so langsam die Zweifel hoch an der offiziellen Version aus Karlsruhe zur sogenannten Ferrania Color-Kopie von Tanz der Vampire (obwohl sie demagogisch von einem der Freunde des Herrn aus Karlsruhe verteidigt wurde: es sei ja Agfa, und somit LPP - eine ganz üble Verdrehung).

Aber ich werde nicht weiter antworten, sie haben genug Informationen bekommen.

Das Ferrania-Thema werde ich aber noch einmal hier neu aufziehen, wo man vor Kommentaren wie "Schmarrn" verschont bleibt.

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Schreibe lieber gar nichts mehr dort im anderen Forum das hat doch sowieso keinen Zweck.

Filmgärtner