Seit der flächendeckenden Digitalisierung, zu deren Förderprogrammen ursprünglich in einigen Fällen auch die Entfernung der traditionellen Filmprojektoren gehörte, leidet das gewerbliche Kino allerdings auch an Verlusten seiner Identität, zu welcher eben auch das Handgemachte, Zirzensische und Performative gehörte.
Intuitiv oder sogar direkt konnte das Publikum im traditionellen Kino spüren, dass engagierte und qualifizierte Personen im Bildwerferraum für sie tätig sind, die laufenden Bilder richtig formen und präsentieren, den Ton auf die jeweilige Vorstellung anpassen und die Wundermaschinen des industriellen Zeitalters am Laufen halten.
Manche nannten dies auch showmanship oder Vorführkunst.
(Im heutigen Digital Cinema steuert ein Theater Managementsystem vom Theaterleiterbüro aus sämtliche Vorführungen, auch online-Tickets haben sich durchgesetzt, Kassenautomaten sind auf dem Vormarsch. Auf abziehbare Zeit auch künstliche Intelligenz oder Roboter als Servicekräfte der Filmtheater?)
In wenigen Programmen und kommunalen Kinos, manchmal auch in Multiplexen, befinden sich nach wie vor Filmprojektoren. Und in vielen Fällen besteht auch das Bedürfnis nach Repertoire fort.
Nach dem Wegfall von Standards und Fachpersonal nicht nur im Kino, sondern auch in den noch bestehenden Filmkopierwerken und auch Filmrestaurierungsbetrieben, fällt die Wiederentdeckung der Filmrolle oft in die Hände letzter im Kinos verbliebener Filmvorführer oder neu hinzugetretener Kuratoren aus der heutigen Szene der Universitäten und Festivals.
Die Wiederentdeckung der Filmrolle, so wichtig der Erhalt dieser Kulturtechnik auch ist, geht mit einem gewissen Romantizismus einher, als habe man plötzlich den heiligen Gral des Originals gefunden.
Es handelt sich natürlich um zeitgenössische Belege damaliger Aufführungspraxen, in gut wie auch in schlechterhaltenen Kopien. Das eigentliche Original ist jedoch das Original Kameranegativ und Soundmaster.
Weltweit gibt es kein Programm zur Erläuterung der Produktionszusammenhänge und Hintergründe der Entstehung einer Filmkopie. An deren Stelle sind Marketingfloskeln getreten, die etwas vermarkten, welches zu seltenen Spezies gehört oder auch als das Original dargestellt wird.
Wenn man sich Spielstätten aussucht, um ausgewählte Programme zu genießen, führt der erste Weg über die Veranstaltungsankündigung.
Anlass, anhand der Hackeschen Höfe Kinos in Berlin einmal nachzufragen bzgl. der Verkündung, es gebe die eingesetzten Titel aus dem Ouevre des James Cameron noch in "keiner hochwertigen Digitalfassung".
Man zeigt nun Filme auf 35 mm und insinuiert damit, Mehrwert zu garantieren.
Mit einem an Multiplex-Erfahrungen orientiertem Programmen oftmals (und auf technischer Ebene mit mittlerweile verworfenden Massenkopien der damaligen Zeit).
Wenn es schon von Reiz ist, leider auch die optisch verlustreichen, "verwaschenen" 35 mm-Kopien zu spielen, warum garantiert der Stab aus Kuratoren nicht wenigstens die 35 mm-director's cut-Version von THE ABYSS, die doch erhältlich ist?
https://www.hoefekino.de/filme/the-abyss-28043/Auch im Fernsehen und auf DVD ist ein director's cut zu sehen und in guter Heimkino-Qualität mittlerweile auch über HBO Max in HD zu streamen:
https://www.tvguide.com/movies/the-abyss/2000045324/Bei TRUE LIES verhält es sich ähnlich:
https://doeshbohave.com/is-true-lies-1994-on-hbo/Die auf Wunsch der Fox zensierte und gekürzte
Erstaufführungsfassung von THE ABYSS indessen wird dem Ansinnen der Filmemacher wenig gerecht.
Das Kino selbst aber bezeichnet diese Reihe gar als "Hommage an James Cameron", überhaupt ist fortan alles Hommage.
Es erheben sich Fragen:
- Sobald jemand 35 mm-Aufführungen kuratiert - sollten hierfür nicht Auswahlkriterien erarbeitet werden?
- Sind es Blockbuster, die die Geschichte des 35 mm-Films fotografisch am besten repräsentieren oder sind Blockbuster nicht eher der Transmissionsriemen für voller Stolz reanimierte Dolby-Anlagen mit komprimierten Tonformaten? In einigen Filmkopien ist das Rauschen und Knistern kaum auszuhalten, denn optisch mit dem Bild mitkopierte Tonspuren haben mit der Originalmischung der Filme auf Magnetbändern, jetzt halbwegs auch auf Blu-ray-Discs repräsentiert, wenig zu tun).
https://youtu.be/fsxU8zQjHBM- Weiß man auf Kuratorenseite über 35mm-Duplikatprozesse oder den Digital Intermediate-Prozess bescheid? Über eine weitere negative Beeinflussung durch (niedrig gerenderte) CGI-Animationen?
Was verbleibt danach noch in einer schnell reproduzierten 35mm-Theaterkopie?
- Findet sich die Lob verdienende 35 mm-Brillanz vielleicht eher in kleineren Kopienauflagen, bei unabhängigeren Filmemachern oder - weit zurückreichend - vor 60 oder 70 Jahren, als das Wort "Premierenkopie" Bedeutung hatte? (Und wie ist es möglich, dass unter 60-Jährige eine hochwertige Filmkopie gesehen haben wollen? Über solche verfügen wir kaum mehr.)
- Findet die filmwissenschaftliche Arbeit, sich für ein Thema, z.B. für Kamerastile zu interessieren, Befriedigung in verfälschten 35mm-Intermediate prints?
- Wenn 35 mm analysiert würde: Werden Kamera-Leute eingeladen?
- Verfügen Kuratoren über eine Filmkopierwerkspraxis? (Oder einen anderen, vergleichbaren Berufsabschluss?)
Wie ist es möglich, über 35 mm zu reden, ohne jemals in einem Filmkopierwerk gearbeitet zu haben?
- Kündet das Abspielen von 35 mm-Kopien (trotz minderer Güte in einigen Spielstätten mit "35 mm Aufschlag" deklariert) von "Leidenschaft für Film" - oder von Leidenschaft für Projektionsapparate?
- Was beweisen uns 35mm-Auflösungen, die sich etwa im Auflösungsbereich von ein 1k (deutlich weniger als der der Blu-ray-Disc) bewegen?
- Ist das annoncierte "Kinoerlebnis auf großer Bildwand" in "Zelluloid" als Versprechen auch einlösbar? (ABYSS lief im September 1989 an: auf 19,80 m Bildbreite im Zoo Palast und auf 32 m Bildbreite im Royal Palast.
Die größte Bildwand in den Hackeschen Höfen beträgt ca. 8 m und ist flach.)
Fazit: 35mm dient als Chiffre für Dies und Jenes, für alles Mögliche.
Meines Erachtens ist das Thema geeignet für Forschungssymposien und Seminare, nachdem Vorzüge der Filmrolle gegenüber mittlerweile verfügbaren (und im Sinne der Filmemacher erstellten) Digisaten nur in seltenen Fällen noch aufrecht zu erhalten sind.
Auch wenn mich das Thema selber historisch bewegt, finde ich es erörterungsfähig, dass es sich um eine "Hommage an James Cameron" handele. Schließlich hatte dieser sich mit der Fox wegen dieser beeinträchtigten Versionen beinahe überworfen und die Missstände erst vor zwei Jahren korrigiert. Mit Sicherheit nicht mehr auf Filmrolle auf dem Niveau der Kinocenter von anno 1989.