Rette alte Kinotechnik! Oder "Ab zu den Altscherben"?

Begonnen von Filmgärtner, 27.01.22, 14:19

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Filmgärtner

27.01.22, 14:19 Letzte Bearbeitung: 20.05.23, 12:26 von DCI sr.
Der lustige Streit über Sinn und Unsinn alter Kinoobjektive hat einen Höhepunkt erreicht:

https://www.facebook.com/100057526754758/videos/199573420179901/

Die einen werden schmunzeln ("endlich wieder einer von diesen gealterten 50er Jahre-Scherben, die schon wegen ihrer Alterungssymptome eine würdige Projektion gelungener Filmkopien verbieten"), die anderen heulen ("welch ein Verlust ein Kinogeschichte, Objektiv-Baukunst für Millionen von Zuschauern, seelenlose Zerstörung echter Werte").

Tröstlich ist dennoch, dass genügend Kinobjektive überlebten, und für die nach wie vor vor mit Filmrollenprojektion Beauftragten sind sie ausreichend verfügbar, denn man möchte möglichst heute die letzten Produkte im Objektivbau nutzen wie beispielsweise die Blue Star Serie oder Schneider Premiére.

Schleifenfänger

Nachdem wieder neue Petzval-Objektive gefertigt werden und das Meyer-Trioplan eine Wiederbelegung erfährt, kann man sich fragen, was man denn mit den verschiedenen Konstruktionen anstellt. Wenn man genügend Licht für nicht zu großes Bild hat, wenn die Brennweite auch noch etwas länger sein darf, dann ist man mit dem altehrwürdigen Petzval-Vierlinser gut bedient. Es leistet enorme Mittenschärfe, will heißen, bei einem Öffnungsverhältnis von 1:2,5 sind auch die Bildecken scharf. Je weiter eine Petzval-Konstruktion geöffnet ist, umso heikler wird das.

In der Stehbildprojektion sind gerne die noch preiswerteren Triplette verwendet worden. Kinodias sind größer, folglich ist die Brennweite länger und alles ist gut.

Dann geht es plötzlich um CinemaScope, es wird ein eindrückliches Bild gewünscht, groß, hell, scharf, mit leuchtenden Farben. Man hat noch ein Paar Anamorphoten. Jetzt steigen die Ansprüche an die Grundoptik. Überzeugen können die vom Opic-Biotar-Xenon abgeleiteten Sechslinser mit Öffnungsverhältnis besser als 1:2. Man kann sich das abgefahrenste Glas beschaffen, eines kann kein Objektiv leisten: Das Licht selbst muß gute Qualität haben.

Das kingt vielleicht lächerlich, aber das von der Lichtquelle abgestrahlte Spektrum ist ausschlaggebend. Wer gewinnt? Der offene Hochintensität-Kohlenbogen

Kino ist feuriges Licht durch die Kopie geschickt. Infrarotstrahlung, Wärme, ist natürlich immer dabei, doch Ultraviolett, die Zauberzutat, darf nicht fehlen. Die ozonfreien Xenon-Entladelampen besitzen mit Blei dotierte Glaskolben. Das Blei hält das UV zurück, eben damit außen am heißen Glas kein Ozon entstehen kann. Das Licht hat nicht die durchschlagende Leuchtkraft auf der Kalkwand wie das des Beck-Bogens. Man muß es gesehen haben.

Filmgärtner

24.05.23, 17:05 #2 Letzte Bearbeitung: 24.05.23, 20:06 von DCI sr.
Die Neufertigung der Petzval-Objektive überrascht mich sehr - und positiv. Wären doch theoretisch einige Mängel der Isco-Kiptare der 1950er-Jahre (bspw. durch einen Abblendungsring an der Frontseite) korrigierbar.
Wir hatten sie Anfang der 1990er Jahre noch im 35mm-Einsatz, zumeist auf Bauer BL9X-Xenonlampenhäusern: allerdings auf das kleinere Bildwandformat 1:1.33 begrenzt. Sodass für Breitwa 1:1.66/85 bereits die ersten Anschaffungen der frühen Isco-Cinelux-Ultra MC-Serie zwingend wurde, weil der Schärfeabfall des Petzval-Objektivs zum Rand hin deutlich wurde, aber auch die Doppelgaus-Objektive Super Kiptar nur die Ranschärfe, aber nicht Helligkeit und Kontrast verbessern konnten.
Beim 70mm-Film habe ich die Petzval-Type bis heute nicht ausgetestet: Dabei wäre das Experiment (beginnend mit der Brennweite f= 100 mm) spannend, falls sich hinsichtlich der Randschärfe auf gekrümmten Bildwänden ein befriedigendes Ergebnis bieten sollte. Für den Breitfilm fanden sich dann immer noch die T-Kiptagone welche baugleich zum Super Kiptar waren (abgesehen vom notwendig größeren Bildkreis).

Später ergaben sich Verschlechterungen durch Alterungsprozesse der Optiken, nicht nur durch die UV-Lichteinstrahlung, vermutlich bereits durch bloße Lagerung.

Das Thema des Bogenlichts kann man nicht genug hervorheben. Weniger als ein Dutzend Personen weltweit dürften sich aktiv für diese Frage noch interessieren und daraus sachlich verwendbare Resultate kommunizieren.
Meines Erachtens bewegt sich das Spektrum des Xenonlichts in einen zu hohen Blauanteil. Das Reinkohlelicht einen zu starken Gelbanteil. Das Becklicht dagegen nahezu reinweiss - mit einer leichten Gelbbtönung: aber von allen genannten Kategorien die beste Lichtquelle (leider wird dieses Faktum seit Jahrzehnten in Abrede gestellt).
Fokussiert man auf die Theaterkopien bis Anfang der 1970er Jahre, sind diese noch auf das Becklicht abgestimmt und würden in späterer Projektion mit Xenonlicht zu blau erscheinen: am deutlichsten offenbahrt sich dies bei Projektion alter Schwarzweiss-Kopien mit Xenonlicht.
Umgekehrt hatte Kodak bereits früh seim Printmaterial (bis zuletzt) eine bläuliche Tönung verliehen, wollte man doch hiermit den Gelbstich der Reinkohle-Projektion überkompensieren.

Ab Anfang der 1970er Jahre waren die Kundenvorführungen in den Filmkopierwerken in Deutschland fast alle auf Xenonbetrieb umgestellt. Und auch diesmal wurde das Kopierlicht umgestellt, um eine Kompensation zu ermöglichen.

Berücksichtigt heute ein einziges kommunales oder museales Kino solche Prämissen?