Zum Umgang mit der Vermarktung neuer Filme aus modernen Filmkopierwerken

Begonnen von Filmgärtner, 24.03.22, 12:24

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Flankiert von esoterischen Schwärmern, experimentierfreudigen Kurzfilmern, Filmklassiker-Besuchern, ehemaligen/weiterdienenden Filmvorführern, subventioniert von filmverzückten Regisseuren und uralten Erinnerungen aus Tagen, als "Film" noch enorme Qualitäten und Maßstäbe zu setzen imstande war, rollt auch nach der Digitalisierung der Filmtheater noch immer klassischer Film durch die Bildwerferräume, wird gar als Mehrwert/Sonderleistung verkauft, wird als running gag des Marketing für Zielgruppenschliessungen instrumentalisiert, wird letztlich von Unterhaltungsmedien immer wieder gern als "Abwechlung" in ihrer monotonen Berichterstattung eingeschmuggelt.

Was aber sind die Ergebnisse dieser besonderen Erzeugnisse analoger Wertschöpfung? Halten diese Ihre Versprechungen?


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Eine Enttäuschung des Todd-AO-Films SOUTH PACIFIC von 1957 offerierte Foto Kem im Jahre 2006 unter der Leitung von Schawn Belston.
Im neuen 65mm-Interpositiv waren die komplizierten Farbverläufe nicht adäquat in den Haupt- und Nebendichten, der insgesamt bräunlich-gelbe Charakter der Neukopie enttäuschte, eben so auch der verflachte Ton auf Basis des neuen DTS-Tonverfahrens:

https://www.in70mm.com/news/2006/south_pacific/index.htm

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Die Neukopierung von LORD JIM auf 70mm um etwa 2002 erfolgte vom 65mm-Oriignalnegativ und gilt als eine der "besten" Breitfilm-Kopierungen im 3. Jahrtausend.

Dies nicht in Zweifel ziehend, zumal die Arbeit des Lichtbestimmers bei diesem Titel als erstklassig erachtet werden kann (durchgehend stimmige Licht- und Farbkorrekturen), muß dennoch auf eine Eigenheit der Grundabstimmung hingewiesenerden: insgesamt zu gelbstichig (und dieser Farbstich ist nicht zu verwechseln mit der leicht gelben Grundabstimmung der 1960er Jahre auf wesentlich brillanterem Niveau).
Dies führt dann im Zusammenwirken mit dem neueren Printmaterial des Heissprozesses und anderen Verläufen der Gradation zu einem doch deutlich "weicheren" Gesamteindruck der Bildes. Gegen die selbst die beste Filmnachbearbeitung und Korrektur machtlos ist.
Eigenheit des Vision- und Vision-Premiere-Printmaterials war bei Einführung zwar wieder eine höhere Schwärzung und ein höherer Silberanteil, aber die mittleren Dichten bleiben davon unbetroffen - nur das tiefe Schwarz wird hervorgehoben, was bei der Nachkopierung älterer Negative nicht genügt. Insgesamt war also der Silberanteil bei Kodak-Kopien bis in die 1970er Jahre dreifach höher als bei den letzten Printmaterialien der Vision-Serie.
Neben der allerdings perfekt ausgeglichenen Kopie gibt es noch eine weitere 70mm-Kopie, offenbar eine Vorstufe, im Umlauf, bei welcher der Szenenausgleich hin- und herspringt.

Am ehesten offenbahrte die ebenfalls vor etwa zwanzig Jahren neu fabrizierte 70mm-Kopie von HELLO, DOLLY! in einigen, wenn nicht allen Szenen farblich und in der Dichte gute Eindrücke. Viele Szenen hinwiederum kippten dennoch um in einen Blau-Grün-Look, was auf die Wirkung der sogenannten "Überkompensation" auf den moderneren Hazeltine-Color-Film-Anaylizern zurückzuführen ist. Erscheint dort nämlich eine Szene zu rot und wird auf dem Bildschirm scheinbar korrekt gegenkorrigiert, so erscheint die Szene zumeist in der Filmkopien als zu blau-grün - so auch bei den meisten Szenen von HELLO, DOLLY!
Diese Überkompensation wiederum wäre jedoch korrigierbar durch erfahrenere Lichtbestimmer.

Im Falle der Neukopierung von PLAY TIME aus dem Ariane-Gulliver-Filmkopierwerk Nähe Paris erweckte drei unterschiedliche 70mm-Kopien allesamt einen artfremden Look. Zunächst ist die stärkere Körnigekeit die Umkopierung zurückzuführen, konnte oder wollte man wohl keine Neukopierung vom Originlnegativ mehr riskieren - und hatte auch Tati selber die Neigung, bis zuletzt in seinen Originalnegativen immer wieder Änderungen vorzunehmen: und bei PLAY TIME wurden noch Ende der 1970er Jahre im Auftrag einen kleineren französischen Verleiht 35mm-Kopien vom 65mm-Originalnegativ gezogen.
Im Rahmen der Erstellung eines neuen 65mm-Internegativs (zu deutsch: 65mm-Duplikatnegativ) war natürlich ein Verlust in der Schärfe zu erwarten, hätte aber durch dichtere Kopien vermindert werden können: insgesamt erschienen die 70mm-Neukopien um acht Punkte zu hell! Und entweder zu grün, blau-grün blau, oder auch insgesamt zu wenig gesättigt in der Grundfarben (was in den Originalkopien von 1967 noch wunderbar harmonisch und farbgesättigt erschien: keinesfalls mit beabsichtigter Farbentsättigung, gar Filterung oder mutmasslicher "Vergrauung": grau und monochrome waren lediglich einige Requisiten des Films: Wände und Flure, mitnichten aber die Grundabstimmung des gesamten Films. Hier haben sich leider Legenden eingenistet). Einige Szenen wurden auch ausbelichtet, zumindest der Titelvorspann, der nur noch digital restauriert werden konnte.-
Bedauerlich auch der Verlust der Direktionalität und Dynamik im neuen DTS-Ton gegenüber dem alten, vorzüglichen Magnetton: weshalb auf einigen Festivals (in Varnsdorf oder in Wien) bereits wieder die alte, gefadete Erstaufführungskopie eingesetzt wird.

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Der Testfilm von "Oppenheimer" (2023) zeigt die bewusste Begrenzung auf das traditionelle 70 mm Format mit Magnettonpuren auf 2,2:1, die es seit 3 Jahrzehnten schon nicht mehr gibt, geschuldet den Bildbühnen und dem Bildfensterausbruch der klassischen 70mm-Projektoren, welche niemals für ein Bildfeld, das von Perforation zu Perforation reichen würde, überarbeitet wurden, obwohl dies ein weiteres Format zulassen würde und auch die meisten sogenannten Scope-Bildwände (2.39:1) der Welt optimal füllen würde:

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