in70mm.com ist eine verdienstvolle Internet-Enzyklopädie und zugleich eine Chronik der filmtechnologischen Entwicklungen, aber auch der Zeitzeugen und der Sicht des Publikums. Zugleich ist der Herausgeber Thomas Hauerslev aktiv beteiligt an kurrenten Filmveranstaltungen und Festivals, welche die letzten Plattformen zur Darstellung eines herausragenden kinohistorischen Erbes sind.
Wie im Internetportal Kinofilm-Forum ist es eine Intention, differenzierte und divergente Zeitzeugenaussagen zu sammeln. Welche auch im Widerspruch zueinander stehen können, was demokratischer Konsens ist.
Dennoch hinterfrage ich Aussagen von Premieren-Besuchern neuester 70mm-Veranstaltungen, insofern deren Eindrücke und Beschreibungen in einem Widerspruch zu filmtechnologischen Normen und auch ästhetischen Kriterien stehen.
Dieser Hinterfragung liegt zugrunde eine Einsicht in einer nicht interessengeleitete und nicht-kommerzielle Suche nach dem Kern der Intention.
Der Eindruck entsteht, dass einige der Reportierenden (und bisweilen noch Zeitzeugen einer perfekten und standardgemäßen 70mm-Darbietung auch von Klassikern gewesen sind - zumindest in ihrer Jugendzeit) sich in ihrer Nostalgie erheblich irren könnten.
Aussicht der Nostalgie entsteht eine unverbrüchliche Loyalität zum unübertroffenen 70mm-Film, womit zum einen die Maxime verteidigt wird, dass alle derzeitigen auf 70mm kopierten Filme zu loben seien, zumal es sich um eine aussterbende Spezies handelt.
Vor dem Hintergrund aber immer einfallsloserer Kameraführung wie auch fragwürdigerer Filmkopierwerksarbeit in den letzten Jahren, ist es notwendig, Vergleiche anzustellen.
Hier eine zu diskutierende Passage:
"Seeing "Licorice Pizza" in 70mm was an outstanding experience. At the beginning of the movie, you notice a little flickering of the image that you are not used to see. Then you start to adapt to this projection which is more "alive" than numeric (digital) projection. The colors of the 70mm [print] are very warm and the faces of the characters are very defined. You can see every detail of sets and clothes. I have the feeling that the 70mm projection gives more impact to the movie and i would say "Licorice Pizza" was an excellent movie.
I hope that we can see more 70mm prints in the future."
Auf YouTube heißt es in einem Leserbrief:
"Reist nach Karlsruhe in die Schauburg um den Film analog zu sehen! Ich hatte jedenfalls schon lange keine so pure Freude mehr an einem Film. Die Farben, das Licht, die Schauspieler, das reisst mehr mit als jeder Actionfilm! Und die Körnigkeit auf der 70mm Kopie berauscht einen dann noch mehr..."
https://m.youtube.com/watch?v=RIbzYd5fhz0Das geht dann doch zu weit.
Verrückter geht's nicht?
Der Film mag originell sein.
Die Farben aber können keine definierte Gestaltung haben: denn es handelt sich um eine fehlerhafte Ausbelichtung vom Digisat, zudem gibt es seit 20 Jahren (leider) keine garantierbare Entwicklungsqualität mehr beim fotochemischen Film, worin genau die Problematik des Unterfangens liegt.
Wenn es dann noch heißt, die herrliche Körnigkeit des 70mm-Bildes hätte eine ästhetische Qualität, dann hat jemand die Grundlagen der Filmformate und der Filmtechnik, ja das Ideal alle Erfinder, Techniker und Ingenieure, nicht verstanden, denn ein Bild ist optimalerweise feinkörnig und scharf abzubilden: genau das wäre auch die Intention des hier erwähnten 70mm-Filmformats.
Wer andererseits das grobe Korn liebt, möge einen Film in Super 16mm aufnehmen, welches zudem über eine bessere Schärfentiefe verfügt.
Da offenbar alle anstrebenswerten bildtechnischen Ziele bei "Licorice Pizza" nicht erreicht worden sind, muss halt die Kinostandortwerbung herhalten, um einer missglückten Filmkopie die höheren Weihen zu verleihen.
Vor diesem Hintergrund werden auch die Errata im Marco Gomes Artikel zum Savoy Hamburg umso deutlicher:
https://szene-hamburg.com/70-millimeter-film-savoy-kino/